Minnesang, Folk und moderne Kontrafaktur
Bereits nach den ersten Takten, nachdem der Liederdichter belmonte – begleitet von seinem indischen Harmonium – begonnen hatte, den Gemeindesaal stimmgewaltig zu füllen, ahnte das Publikum, dass dies ein besonderer Abend werden würde.
belmonte nahm die Anwesenden in den darauffolgenden zwei Stunden mit auf eine 800 Jahre umfassende Reise quer über die nördliche Hemisphäre. Vom Mittelhochdeutsch eines Walter von der Vogelweide über die provenzalischen Troubadoure und nordfranzösischen Trouvères und die Gesänge der mittelitalienischen Bettelmönche endete der erste Teil des Abends mit dem bekannten amerikanischen Folk- und Gospelsong „The Wayfaring Stranger“.
Das Harmonium, das belmonte selbst vor vielen Jahren aus Indien mitgebracht hat, blieb auch im zweiten Teil sein einziges Begleitinstrument, während er seine Liederreise über Skandinavien, Irland („Johnny I Hardly Knew Ya“) und England fortsetzte. Dabei sang er Kontrafakturen (wörtlich „Fälschungen“), also Variationen von historischen Liedern, bei denen er zum Teil neue und eigene Texte nutzte. Nach einem nochmaligen Ausflug mit dem Folksong „Oh Shenandoah“ ins Amerika des 19. Jahrhundert kehrte belmonte mit seinen beiden letzten Liedern „Anna Reider ist tot“ und einer Variation von Hölderlins Schicksalslied in die Neuzeit, genauer in die 2020er Jahre nach Deutschland zurück.
In beeindruckender Weise ließ belmonte im Laufe dieses lehrreichen und genussvollen Abends die Zusammenhänge der musikalischen Entwicklung in Europa vom arabischen Kulturraum bis nach Amerika hörbar werden.